R. Bodenmann u.a.: Heinrich Bullingers Briefwechsel

Cover
Titel
Heinrich Bullinger, Briefe des Jahres 1545.


Herausgeber
Bodenmann, Reinhard
Reihe
Heinrich Bullinger Abt. 2: Briefwechsel
Erschienen
Zürich 2013: Theologischer Verlag Zürich
Anzahl Seiten
746 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Scheidegger

Mit rund 12’000 überlieferten Briefen ist die Korrespondenz des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger (1504-1575) eine interdisziplinär bedeutsame Quelle der Frühen Neuzeit. Der hier vorgestellte Band enthält 259 Briefe aus dem Jahr 1545. 42 davon werden nur in Form einer ausführlichen Zusammenfassung dargeboten, weil sie bereits in anderen Publikationen ediert worden sind. 41 Briefe stammen aus Bullingers Feder, während die anderen an ihn gerichtet sind. Die Abfassungsorte liegen in einem ausgedehnten Raum, der von Ostfriesland über Frankreich und Oberitalien bis nach Mähren reicht, wobei je ein Drittel dieser Briefe im Gebiet der heutigen Schweiz und in dem des heutigen Deutschland geschrieben worden sind.

Der wichtigste Briefpartner im Jahr 1545 war Ambrosius Blarer in Konstanz (17% der überlieferten Korrespondenz). Seine Schreiben standen im Zeichen des schwierigen Verhältnisses zwischen Kaiser und deutschen Protestanten, das sich mit der Einberufung des Konzils in Trient für die protestantische Seite merklich verschlechtert hatte. Man rechnete allgemein mit einem kaiserlichen Angriff. Blarer suchte für seine Heimatstadt vergebens die politische Nähe zur Eidgenossenschaft, vermittelte den Kontakt zwischen dem Schmalkaldischen Bund und den evangelischen Orten der Eidgenossenschaft und sicherte Bullinger den Zugang zum süddeutschen Raum, sowohl was den Nachrichtenaustausch, als auch was personelle Vermittlungen betrifft.

Die angespannte politische Lage bildete auch den Hintergrund für die angestrebte Bundeserneuerung der Eidgenossenschaft, über die sich Bullinger mit dem Basler Kirchenvorsteher Oswald Myconius austauschte. Umstritten war die Eidzeremonie, denn Bullinger lehnte die Anrufung der Heiligen in der Eidesformel strikt ab und setzte Basel diesbezüglich unter Druck. Seine Einflussnahme und sein manipulierendes Vorgehen werden auch sonst im Briefwechsel mit Myconius deutlich. Weil sich der Basler Antistes in der Abendmahlfrage nicht im Sinne Bullingers geäussert hatte, schwieg der Zürcher Antistes einige Monate lang und bevorzugte in dieser Zeit den Briefkontakt mit dem Basler Theologen Johannes Gast. Ausserdem warnte Bullinger den älteren Basler Kollegen wiederholt vor dem spiritualistischen Reformator Caspar Schwenckfeld, nachdem sich Myconius zaghaft für einen Dialog eingesetzt hatte. Die Briefe zeigen, dass der einundvierzigjährige Zürcher Kirchenvorsteher in kirchlichen und kirchenpolitischen Fragen eine wachsende Autorität genoss, weshalb er 1545 beispielsweise bei Stellenbesetzungen in Herisau und in Chur konsultiert wurde. Auch fühlte er sich ermächtigt, dem zwanzig Jahren älteren Joachim Vadian in St. Gallen einen mahnenden Brief im Zusammenhang mit dem damals heiss diskutierten Abendmahlstreit zu schreiben. Die Uneinigkeit im evangelischen Lager verfestigte sich, nachdem Martin Luther 1544 Ulrich Zwingli und seine Anhänger öffentlich zu Ketzern erklärt hatte. Bullinger wollte diese Stigmatisierung nicht hinnehmen und publizistisch gegen die rechtliche und politische Isolation der reformierten Kirche ankämpfen. Deshalb reagierten die Zürcher 1545 mit einem Wahrhaften Bekenntnis auf Luthers Beleidigungen. Der Briefwechsel belegt, dass die Antwort der Zürcher in grosser Zahl in alle Richtungen verschickt wurde. Das Massenmedium des Buchdrucks wurde offenbar sehr bewusst und gezielt eingesetzt.

Die Briefe des Jahres 1545 sind ausserdem wichtig für die Täufer- und Dissidentengeschichte. Zum Beispiel ist etwas über die Aktivitäten der Schwenckfelder zu erfahren, die von der schweizerischen Historiographie bisher weitgehend ignoriert worden sind. Interessant ist vor allem der Brief des Basler Professors Martin Borrhaus, in dem er sich als Sympathisant Schwenckfelds zu erkennen gibt. Ausserdem sind Einzelheiten über die Täufer Wilhelm Reublin und Gerhard Westerburg sowie eine von ihm entworfene Mühle, über den ehemaligen Minoriten Paolo Ricci alias Camillo Renato und seine Forderung, das neutestamentliche Liebesmahl wieder einzuführen, und über die Beziehung zwischen Bernardo Occhino und der Augsburger Kaufmannsfamilie Fugger zu erfahren. Eine Entdeckung stellt das in einem Brief erwähnte und von den Bearbeitern aufgespürte Glaubensbekenntnis des Libertinisten Eligius Pruystink (gest. 1544) dar.

Die Editionsarbeit verdient Anerkennung. Beachtlich ist nicht nur die Qualität, sondern auch die schnelle Bearbeitung des umfangreichen Bandes. Ausführliche Zusammenfassungen lösen die bisherigen Briefregesten ab. Ebenfalls neu und für die Forschung äusserst nützlich ist die elektronische Ausgabe. Die Briefdatenbank verfügt über gute Recherche- und Navigationsmöglichkeiten in den Bänden 1 bis 14 und ist über die Webseite des Instituts für Reformationsgeschichte kostenlos zugänglich.

Zitierweise:
Christian Scheidegger: Rezension zu: Heinrich Bullinger, Briefe des Jahres 1545, bearb. von Reinhard Bodenmann et al. (=Heinrich Bullinger Abt. 2: Briefwechsel), Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 547-548.

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